Sternennacht


Leise glitt sie durch die sternenklare Nacht. Der Wind unter ihren Flügeln streichelte ihre Federn und die Eule landete lautlos auf dem Ast eines großen Baumes.

Unter ihr war alles ruhig und friedlich, als sie ihre großen, runden Augen umher gleiten ließ. Das Dorf unter ihr schien zu schlafen, während sie ihren nächtlichen Rundflug vollzog.

Wieso wirkte alles noch so friedlich? Warum waren die Menschen so sorglos? Dabei war es doch so deutlich, dass etwas nicht stimmte.

Doch was erwartete sie eigentlich? Es war schließlich nicht das erste Mal, dass ein Unheil nahte. Allerdings war sie auch die einzige, die sich daran erinnern konnte. Sie hasste diese Bürde der Allwissenheit und dennoch war sie sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst. Und noch viel mehr der Geheimnisse, welche sie zu wahren hatte.

Sie wusste so viele Dinge, welche die Menschen nicht wussten. Welche nicht einmal die Götter wussten und dabei ging es doch um diese.

Es ging fast immer um die Götter, denn diese immense Macht brachte eine sehr große Verantwortung mit sich und nicht jeder war dieser gewachsen.

Das war auch der Grund, warum sie sich erneut in die Luft erhob und zu einem Ort flog, der nicht mehr so ruhig und friedlich dalag. Im Gegenteil. Laute Musik und viele Menschen, die sich auf einem großen Platz im Freien tummelten, waren hier anzutreffen.

Die Eule kreiste ein paar Runden um den Platz, der wohl so etwas wie ein Marktplatz war und beobachtete das rege Treiben genau.

Es war sehr belebt und würden ihr Temperaturen etwas ausmachen, wäre ihr das schwere Gefieder wohl zu heiß gewesen. Obwohl die Sonne bereits untergegangen war, hielt die Wärme des vergangenen Tages noch an. Es war drückend und schwül.

Ihre großen Augen huschten blitzschnell umher, blickten durch die Dunkelheit, als wäre es helllichter Tag und machten endlich eine Lichtung aus, die mit einigen bunten Tüchern verhangen war. Durch die darunterliegenden Fackeln und Kerzen, wirkte das hauchfeine Tuch, welches in den grellsten Farben erstrahle, beinahe schon wie ein Glasfenster, durch welches das Sonnenlicht schien.

Die Eule, kein Tier, das normalerweise in dieser Gegend zu sichten war, flog zwischen die sandsteinfarbenen Häuser der Umgebung. Hier war alles dunkel und ruhig und so landete sie neben etwas, was einer Mülltonne glich und schreckte eine Katze auf. Diese fauchte, aber anstatt auf das Tier los zu gehen, sträubte sie das Fell und verschwand zwischen Müllbeuteln und dann durch einen provisorischen Zaun.

Die Eule reckte sich und ihr Körper begann sich zu verändern. Er wurde größer und die Flügel wandelten sich langsam zu Armen und die Krallen zu Beinen, während die Federn noch immer deutlich zu sehen waren.

Ihr Körper deformierte sich, in einer bemerkenswerten Geschwindigkeit, bis nur noch ein junges Mädchen mit seidig glattem, tiefschwarzem Haar übrig war. Ihre zierliche Figur wirkte eher schmächtig und zerbrechlich und auch ihre Haut und Augen wirkten so jung, dass man meinen könnte, sie wäre nicht so alt, wie die Zeit selbst. Sie wusste selbst nicht einmal mehr, wie alt sie war. Eine bittere Ironie in Anbetracht der Tatsache, dass sie eigentlich alles wusste.

Die Zeit hatte aber auch bei ihr Spuren hinterlassen, auch wenn sie dies nicht immer wahrhaben wollte.

Sie streifte das Kleid glatt, zudem ihre Federn geworden waren und blickte sich um. Gleichzeitig lauschte sie auf die Stimmen und die Musik, die nicht weit entfernt waren. Diese Gestalt war perfekt für das geeignet, was sie vorhatte. Es war eine Weile her, dass sie auf die Erde gekommen war und ihre Gabe, immer auch ohne Partner auf diese zu gelangen, war wirklich sehr nützlich. Andere Götter mussten sich Vertragspartner suchen, um auf der Erde leben zu können. Doch sie war nicht wirklich hier. Man konnte sie sehen und berühren, aber eigentlich befand sie sich noch immer ein Stück hinter der Wand, die Götterwelt und Menschenwelt trennte. Der Unterschied war, dass Menschen durch diese Wand sehen konnten und auch greifen, wenn die Eulengöttin es denn wollte.

Als sie sich aufrichtete, war ihr grauer Blick undurchdringlich. Sie war noch nie wie die anderen Götter gewesen, die sich teilweise einen Spaß daraus machten, sich als Mensch dem Volk zugehörig zu fühlen. Doch bei der Eulengöttin war das anders. Ihre Aufenthalte auf der Erde dienten einzig und alleine einem Zweck und keinem Vergnügen. Sie sprach jede existierende Sprache, kannte jede Kultur, Sitte, Religion und Tradition. Dennoch fiel es ihr schwer, sich mit den Emotionen der Menschen auseinander zu setzen. Sie feierten, lachten, weinten, wurden wütend oder euphorisch... all das war es was einen Menschen im Grunde ausmachten. Und trauriger Weise waren genau das die Fähigkeiten, welche sich die Eulengöttin der Weisheit niemals würde aneignen können. Das lag einfach nicht in ihrer Natur und es war auch nicht ihre Aufgabe über die Menschen zu richten. Das oblag den anderen neun Göttern.

Sie selbst hatte eine viel bedeutendere Aufgabe. Sie wachte über die Götter und den Lauf der Zeit. Sie hielt die Fäden für die Zukunft und die der Vergangenheit in der Hand und je nachdem, woran sie zog, änderte sich alles, oder nichts. Eine schwere Bürde, die sie auf ihren Schultern trug.

Langsam kam sie der Meute an Menschen näher, die alle ausgelassen tanzten. Musik wurde immer lauter und die bunten Licht, die durch Seidentücher erzeugt wurden, verwandelten den einfachen Platz in einen fast magischen Ort.

Und mitten in diesem Getümmel konnte sie einen jungen Mann erkennen, der voller Begeisterung mit einer rothaarigen Frau tanzte.

Kühn und fast schon distanziert betat die Eulengöttin, in Gestalt des jungen Mädchens, die Mitte der Runde und bewegte sich zielstrebig auf die beiden euphorischen Personen zu. Die göttliche Ausstrahlung der beiden war fast schon greifbar und auch, wenn die Menschen den Grund vermutlich nicht kannten, fühlten sich diese ebenfalls von den beiden angezogen.

Das wilde Trommeln einiger Männer mit ihren Darbukkas und Rigs, die am Rande saßen, bildeten, gemeinsam mit einer Kanun, einen wilden, aber mitreißenden Klang. Dieser wurde durch einige Rufe, Laute und das gelegentliche Aufklingen einer Nay abgerundet.

Kein Wunder, dass sich gerade diese beiden hier so wohl fühlten.

Es war für die Eulengöttin pures Chaos und gerade das war es, was der Rothaarigen ein strahlendes, aufgeregtes Lächeln auf die Lippen zauberte, während sie ihren wohlgeformten Körper im Takt der Musik wog. Die schokoladenfarbene Haut war an den intimen Stellen von leuchtenden, seidigen Stoffen bedeckt, die mit kleinen Perlen und silbernen Plättchen versehen waren und so ebenfalls eine eigene Melodie spielten.

Ihre roten Haare leuchteten im Licht einiger kleinerer Feuerschalen, die nicht wegen der Wärme hier standen. Sie schmiegte sich ein Stück an den blonden Mann, ehe sie sich wieder von diesem löste. Immer im Takt der Musik. Ein Wunder, dass sie nicht ebenfalls zur Violine griff und in die Musik einstieg. Es war gut so, sonst hätte die Eulengöttin eingreifen müssen.

Doch sie schienen noch alles unter Kontrolle zu haben. Eine erleichternde Erkenntnis, welche jedoch nicht ganz das Belangen löste, weswegen sie hier war. 

Es war natürlich allen Göttern gestattet, durch einen Pakt, auf die Erde zu gehen und das für jeden erdenklichen Grund, doch viele vergaßen gerne, dass sie noch Pflichten in einer anderen Welt besaßen. Oft ging es sogar so weit, dass sich ein Gott weigerte zurück in die Götterwelt zu kommen, weil er sich ein Leben als Mensch auf Erden aufbauen wollte. 

Unakzeptabel, da es gegen so ziemlich jedes Gebot verstieß.

Der Mann, welcher die Frau mit seiner Größe überragte, lachte erfreut und strahlte die Rothaarige euphorisch an.

Sein dunkelblondes Haar, welches ihm in zerzausten Locken in der Stirn hing, klebte fast schon von dem Schweiß, den die Hitze in diesem trockenen Gebiet verursachte. Als sich jedoch seine dunkelbraunen Augen auf die Eulengöttin richteten hielt er inne, ohne sein Lächeln zu verlieren und senkte sein Gesicht zum Ohr der Rothaarigen, um ihr etwas zuzuflüstern, ohne den Blickkontakt mit der schwarzhaarigen Eulengöttin zu unterbrechen.

Das war es wohl, was diese beiden von den anderen Göttern unterschied. Die Eulengöttin konnte echte Freundschaft in den Blicken der beiden ausmachen. Etwas, was andere Götter nur bedingt mit ihren Brüdern und Schwestern verbanden. Wahrscheinlich war dies der Grund, warum diese beiden ihren Aufgaben trotz ihrem Urlaub noch immer nachgingen. Sie war auch nicht hier, um beide zu tadeln. Dennoch musste sie das Problem ansprechen.

Die Rothaarige lachte und streckte die Hand in die Richtung der Eulengöttin. Noch immer wiegte sie sich im Takt der Musik und war ausgelassen.

Natürlich waren sie ausgelassen und sorglos. Sie wussten schließlich nichts von ihrer Sterblichkeit. Keiner der Götter wusste das und das war auch besser so. 

Was wäre denn ein Gott, der sterblich war? 

Nichts anderes, als ein Mensch.


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